Anekdote gegen die Traurigkeit
„Die mir noch gestern glühten, Sind heut dem Tod geweiht, Blüten fallen um Blüten Vom Baum der Traurigkeit.“ (Hermann Hesse) |
In dem Gedicht „Traurigkeit“ löst das Herabfallen der Blütenblätter beim Lyrischen Ich eine tiefe Melancholie aus. Wie unterschiedlich kann doch unser Naturerleben sein! Was dem einen eine Vergänglichkeitsmetapher ist für mich ein Naturereignis, das uns damit tröstet, dass wir uns in einem ewigen Kreislauf der Werdens und Vergehens aufgehoben fühlen dürfen .
In meinem Garten steht ein Kirschbaum. Vor zwei Wochen noch habe ich zusammen mit meinem Enkel – er ist gerade mal 3 Jahre alt- beobachtet, wie die Bienen an den zarten, weißen Blüten Nektar suchen oder mit vollbepackten Pollenhöschen zurück zu ihrem Stock fliegen.
Letzte Woche stand mein lieber Junge dann begeistert unter dem gleichen Baum auf einem weißen Teppich aus Blütenblättern, die ein warmer Wind leise aus der ergrünenden Baumkrone auf ihn herabrieseln ließ. Staunend breitete er seine Arme aus und fragte: “Opa?! Es ist warm und es schneit!?“
Ich habe ihn dann auf den Arm genommen und ihm gezeigt, dass dort, wo vorher die Bienen Nektar und Pollen gesammelt haben, schon deutlich die dicken Fruchtansätze der Kirschen zu sehen sind.
„Bald werden wir leckere Kirschen ernten können, und natürlich freuen sich auch die Vögel in unserem Garten darauf.“ habe ich ihm erklärt. „Warum die Vögel?“ – „Weil sie die reifen Früchte auch mögen und wir mit ihnen teilen wollen,“ war meine Antwort, „und weil sie dafür sorgen, dass auch andere Kinder von anderen Bäumen einmal reife Kirschen naschen dürfen“.
Dabei habe ich mir vorgestellt, wie der Junge seine Enkel einmal liebevoll auf den Arm nehmen wird und ihnen erklärt, dass Blütenblätter wie Schnee fallen müssen, damit wir uns auf reife, süße Früchte freuen können.
Der vollständige Text des Hesse-Gedichts: